Was die Vergangenheit uns lehrt

Veröffentlicht von lw am

„Wehret den Anfängen“ heißt es immer wieder im Zusammenhang mit Rechtspopulisten, genauso wie „aus der Vergangenheit lernen“. Gerade mit dem Einzug der AfD in den Bundestag erinnerten viele an die Zeit des Nationalsozialismus, die ähnlich harmlos begann, sich in das alltägliche Leben geschlichen hat und verheerend endete – wie wir heute wissen. Damit wir aber alle aus der Vergangenheit lernen können und immer wieder daran erinnert werden, sind mediale Projekte die idealen Vermittler. Und es sind keinesfalls immer nur große Medienhäuser, die sich hier engagieren.

So zum Beispiel Nora Hespers. Die Journalistin widmet sich in ihrem Blog und Podcast „Die Anachronistin“ dem Leben ihres Großvaters Theo Hespers. Der Widerstandskämpfer wurde 1943 von den Nationalsozialisten ermordet. Nora Hespers hat sich für das 2018 für den Grimme Online Award nominierte Projekt von ihrem Vater über den Großvater erzählen lassen, seine Bücher zum Thema ausgewertet, aber auch allgemeine Quellen und in Archiven recherchiert. Die inzwischen 44 Episoden erscheinen sporadisch, aber dann thematisch klug gebündelt und erzählen so große Geschichte am sehr persönlichen Beispiel.

Zeitzeugenberichte konserviert

Ganz persönlich sind auch zwei Projekte des Westdeutschen Rundfunks: In der dieses Jahr für den Grimme Online Award nominierten Augmented-Reality-App „WDR AR 1933-1945“ werden Stimmen von Zeitzeug*innen für die Zukunft erhalten und wortwörtlich ganz nahe gebracht. Denn mithilfe der App können diejenigen, die im Zweiten Weltkrieg noch Kinder oder junge Erwachsene waren, auf dem Bildschirm von Tablet oder Handy ins eigene Wohnzimmer oder das Klassenzimmer geholt werden. Dort erzählen sie, was ein Kind im Kölner Bunker empfindet, was im Hungerwinter in Leningrad mit den Toten passierte und wie es sich anfühlt, wenn ein Großteil der Klassenkameraden im Krieg fällt. Auch „Kindheit im Krieg“ konserviert Zeitzeug*innenberichte – nicht nur aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch aus jüngeren Kriegen weltweit. Der Schwerpunkt liegt aber darauf, Berichte der Menschen aus dem Sendegebiet, die auch 75 Jahre nach dem Krieg noch Auskunft geben können, zu erhalten. In einem Multimedia-Reportage-Tool lassen sich die berührenden Erzählungen von mehr als 100 Personen nach Themen recherchieren, in Kurz- oder Langfassungen ansehen und so die Gedanken, Empfindungen und Handlungen der damaligen Zeit nachempfinden.

Nationalsozialistische Gräueltaten

Auch das aufwändige Audio-Projekt des Bayerischen Rundfunks „Die Quellen sprechen“ bietet eine Zeitzeugenschaft: die der Originalquellen. Es sind Original-Dokumente zur Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten zu hören, von Sprecher*innen und Schauspieler*innen zum Leben erweckt. Ohne Kommentierung steht ein Erlass Reinhard Heydrichs neben dem Tagebucheintrag eines jüdischen Jugendlichen oder einem Hetzartikel aus dem Völkischen Beobachter – und wirken so umso eindrücklicher. Die unglaublich umfangreiche Höredition – die von Interviews mit Zeitzeugen und zu den wissenschaftlichen Hintergründen ergänzt wird – war in diesem Jahr für den Grimme Online Award nominiert. Ganz auf ein grauenvolles Kriegsereignis konzentriert sich die multimediale Dokumentation „Im Märkischen Sand“: Im April 1945 verübt die deutsche Wehrmacht im brandenburgischen Treuenbrietzen ein Massaker an italienischen Militärinternierten. Von den 131 Männern sterben 127. Das für den Grimme Online Award 2017 nominierte Projekt der Out of Focus Filmproduktion zeichnet dieses vergessene Kriegsverbrechen mithilfe aufwändiger künstlerischer Gestaltung nach. Historische Fakten werden ergänzt von Gesprächen mit Angehörigen, Zeitzeugenberichten aus dem Ort und Videos der letzten Überlebenden.

Die Judenverfolgung und ihr Ende

Zwei für den Grimme Online Award 2017 nominierte Projekte widmen sich auf einzigartige Weise dem Thema Judenverfolgung. Die auch für den Einsatz im Unterricht konzipierte Plattform „#uploading_holocaust“ stellt die Frage: Wie gehen Jugendliche heute mit der Erinnerung an den Holocaust um? Sie kombiniert einen interaktiven Fragebogen mit YouTube-Videos israelischer Jugendlicher, die Gedenkstätten in Polen besuchen. So regt die Produktion der gebrueder beetz filmproduktion, mit BR und rbb, an, das eigene Erinnerungsverhalten in Bezug auf den Holocaust zu reflektieren. „Inside Auschwitz“ des WDR begibt sich an den Ort, den auch viele Jugendliche mit der Klasse besuchen – und tut etwas, das viel und lange diskutiert wurde. Für das YouTube-Video „Inside Auschwitz“ wurde eine speziell konstruierte 360°-Drohne im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eingesetzt, um die gewaltigen Dimensionen des Vernichtungslagers zu verdeutlichen. Geführt von persönlichen Geschichten dreier Zeitzeuginnen können sich die Nutzer dort selbst umsehen. Auch die Kommentare unter dem Video zeigen, dass es gelingt, das oft erzählte Thema noch einmal neu und anders erfahrbar zu machen. An die Befreiung auch dieses Lagers erinnert das Twitter-Hashtag „#75Befreiung“, das zum 75. Jahrestag von den unterschiedlichen Gedenkstätten initiiert wurde. Hier wird an einzelne Personen erinnert und es werden Originaldokumente in den Feed gestreut. So wird immer wieder gemahnt, aus der Vergangenheit zu lernen und es nicht wieder so weit kommen zu lassen.


von Vera Lisakowski