Panel 2: „Zwischen Selbstvermessung und Selbstbestimmung“

Veröffentlicht von jr am

scd-2012_0331Tim Bartel, Wikia, einer der ersten Wikipedianer, Quantified Self
Mike Schnoor, Bundesverband Digitale Wirtschaft (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Andreas Hahn, Staatskanzlei NRW, nrw.de, „twittert für das  Land NRW“
Judith Orland, Oxfam

Haben social media die politische Teilhabe von Bürgern verstärkt?

Social media haben ein Mehr an Möglichkeiten für die politische Kommunikation und politische Teilhabe gebracht, damit verstärken sie aber nicht automatisch die politische Aktivität der Bürger. Ob ein politisches Thema (online) diskutiert wird und den Weg auf die Straße schafft, hängt zu allererst vom Thema ab. Das funktioniert im Netz natürlich vor allem mit Netzthemen, betonte Tim Bartel (Wikia), Wikipedianer der ersten Stunde. Aber um gesellschaftlich wirksam zu werden, müssen z. B. Online-Petitionen auch den Weg aus dem Netz in die „klassischen“ Medien schaffen. Social Media sind nur ein Kommunikations- und Diskussionsweg von vielen.

Dabei unterscheiden sich aber auch die einzelnen Online-Medien: Judith Orland, die Online-Kampagnen für Oxfam durchführt, sieht z. B. in E-Mail-Listen immer noch ein größeres Mobilisierungspotenzial als bei Facebook: „Dank Social Media gibt es mehr Möglichkeiten – vor allem meine ich hiermit das Informationspotenzial. Was die medialen Beteiligungspotenziale angeht, ist E-Mail eher der King, soziale Medien – Facebook, Twitter und Co. – dienen hier eher als Verstärker. Das Hauptmobilisierungspotenzial steckt aber noch in klassischen Mails – Social Media ergänzt und schafft eher eine Dialogmöglichkeit.“

Der Rückkanal über social media bietet aber tatsächlich Potenzial, die eigenen Themen und die gewählte Kommunikationsstrategie zu überprüfen. Twitter wird von allen Panel-Teilnehmern als politischer wahrgenommen als Facebook, da man sich sofort in die Kommunikation einklinken kann, ohne vorher Gruppen gründen oder ihnen  beitreten zu müssen. Mit Politikern über Twitter zu kommunizieren, macht die Diskussion öffentlicher und damit transparenter, kann Judith Orland aus ihrer Erfahrung berichten. „Auch wenn vielleicht die Hälfte der Gesellschaft zum schweigenden Teil gehört, gibt es dennoch  verschiedene neue Möglichkeiten der Kommunikation – auch mit uns.“

Andreas Hahn, der für die Staatskanzlei NRW als @NRWpunktDE twittert, will daran arbeiten, den Twitter-Kanal der Staatskanzlei mehr zur „Service-Leistung“ für Bürger(innen) zu machen, während der Facebookauftritt des Landes z. B. mit Neujahrsgrüßen eher für den „persönlicheren“ Zugang sorgt. „So kommt es auch immer auf das Thema an, das kommuniziert werden soll. Gerade wenn es um den nachhaltigen Verbleib von Themen geht, gehört hier mehr dazu.“

So differenziert Mike Schnoor die Instrumente: „Es sind verschiedene Medien – Twittter ist schneller und agiler. Ich kann einfach Dinge veröffentlichen und teilhaben. Twitter scheint einfach zwangloser und hat weniger Grenzen in der Beteiligung.“

„Es ist strukturbedingt – bei Twitter gibt es eine direkte Einsicht, jeder kann sich beteiligen, ohne etwas zu liken oder einer Gruppe anzugehören“, ergänzt Tim Bartel. Als entscheidendes Potenzial ergänzt Judith Orland: „Jedoch hat man bei Social Communitys eher das Gefühl einer Gemeinschaft.“

Aber: Es kann nicht einfach vorgegeben werden, über was nun online diskutiert werden soll. Die Online-Diskussion über den NRW-Haushalt, den die Staatskanzlei vor einigen Jahren ins Leben rief, driftete zu ganz anderen Themen ab, aber auch das war ein Signal für politische Handlungsbedarfe.

scd-2012_0330Mike Schnoor, der als Pressesprecher des Bundesverbands für Wirtschaft Social Media v. a. professionell nutzt, findet den Dialog auf Twitter z. B. zum Dschungelcamp (#ibes) privat interessant. Professionell nutzt er Social Media als Mittel, Informationen zu verbreiten – nicht um mit Nutzern zu interagieren.

Es gibt also verschiedene Ebenen in der Nutzung von Social Media, so Mike Schnoor: „Zum einen dient es als Funfaktor – man tauscht sich mit Menschen über ein bestimmtes Thema aus. Aber im Beruf gilt dies ganz klar nicht. Auch ein Austausch ist schwierig – hier geht es eher um einen Informationsaustausch.“

So ergänzt Judith Orland: „Dies zeigt, dass Social Media allein nicht ausreicht. Man kann diese Medien sehr gut nutzen, wenn man auch vorher schon vernetzt war. Letztendlich handelt es sich hierbei um Beziehungsmanagement.“
Potenzial von Twitter sieht Mike Schnoor z. B. auch bei der Jobsuche. Dabei kommt es aber auch auf die persönliche Kommunikation und die real existierenden Netzwerke an. Eine Pressemitteilung nur über Twitter zu verbreiten, aber nicht persönlich mit den Adressaten zu sprechen, bringt keinen Erfolg. Mike Schnoor rundet dies mit den Worten ab: „Das Wichtigste ist vor allem der persönliche Kontakt – das ist die Quintessenz von allen Aktivitäten in Social Media.“

Quantified Self: Von Jägern und Sammlern

Man hat sich schon früher selbst vermessen: z. B. beim Tritt auf die Waage. Die Anhänger von Quantified Self wollen mehr über sich herausfinden und danach eventuell ihr Verhalten anpassen. Tim Bartel, der sich als „Vieloffenbarer“ beschreibt, verfolgt z. B. seinen Blutdruck und -zucker, Schlaf oder seine sportliche Aktivität. Er hat so etwa herausgefunden, dass seine Gewichtsabnahme zu höherem Blutdruck geführt hat. Diese Information ist beim nächsten Arztbesuch wichtig. Natürlich könnte das auch für die Krankenkasse interessant sein. Daher veröffentlicht er auch nicht alle Daten, die er über sich erhebt. Seine Daten über Aufenthaltsorte oder Twitter-Themen funktionieren für ihn auch als Gedächtnis. Die Anhänger von Quantified Self treffen sich auch im „realen“ Leben, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Bisher sind hier aber vor allem Männer aktiv. Tim Bartel schätzt die Zahl der weiblichen „Selbstvermesser“ in seiner Community auf maximal zehn Prozent.


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